Heute möchte ich mit Euch meine Gedanken zum Thema JeKi – Jedem Kind ein Instrument – teilen.
Ich beginne mit einer kurzen Zusammenfassung, damit ihr das Projekt kennenlernen könnt.
„Jedem Kind ein Instrument“, kurz JeKi genannt, ist ein musikalisches Förderprogramm in Deutschland, das darauf abzielt, Kindern im Grundschulalter den Zugang zu musikalischer Bildung zu ermöglichen. Es fördert die frühzeitige musikalische Erziehung und bietet den Kindern die Möglichkeit, ein Instrument zu erlernen und in einer Gruppe zu musizieren. Das Programm soll die Kreativität, Teamfähigkeit und das Selbstbewusstsein der Kinder stärken und ihnen helfen, eine positive Beziehung zur Musik aufzubauen. Es wird in vielen Schulen angeboten und ist ein wichtiger Bestandteil der kulturellen Bildung in Deutschland. Dabei wird in Kleingruppen mit bis maximal 8 SchülerInnen wöchentlich ein Instrument gelernt. Die Kinder verpflichten sich für 2 Jahre, das Instrument, welches sie nach einer Auswahl im Vorfeld gewählt haben, zu erlernen.
Ich selbst habe 5 Jahre an einer Grundschule in Hamburg gearbeitet, und Klavier im Rahmen des JeKi Programms unterrichtet. Während dieser Zeit habe ich viele Erfahrungen im Gruppenunterricht gesammelt und viele Fragen kamen auf:
Warum MUSS jedes Kind ein Instrument lernen?
Was passiert mit den SchülerInnen die eigentlich nicht wollen?
Wie reagiert man auf SchülerInnen, die sich schwer im Unterricht konzentrieren, sich unangemessen verhalten und stören?
Mit welchen Methoden kann hier der Unterricht für alle gleichermaßen schön gestaltet werden?
Wie werde ich dieser Konstellation den talentierten SchülerInnen gerecht?
Und wie kann ich meinen Ansprüchen am Instrumentalunterricht gerecht werden?
Richtig, es gibt viele Fortbildungen dazu. Nachdem ich bei zwei Fortbildungen zu diesem Thema war, habe ich festgestellt, dass es keine zufriedenstellende Lösung gibt. Meine Fragen konnten oft nicht beantwortet werden. Von Jahr zu Jahr bemerkte ich immer mehr, wie schwierig es ist, alle Kinder in meinem Unterricht mitzunehmen. Ich schreibe hier nicht von den Kindern, die einfach richtig Lust haben, dabei zu sein. Von den Kindern, die Freude am Instrument haben und gern darauf spielen und auch üben. Ich schreibe von Kindern, die durch den Zwang, der beim Jeki Konzept entsteht, einfach 2 Schuljahre daran gebunden sind, ein Instrument zu wählen. Sie müssen am Unterricht teilnehmen, üben, üben und üben. Und wollen das eigentlich gar nicht. Was genau ist hier das Lernziel? Wieviel Frust entsteht dabei? Nicht nur beim Schüler, sondern auch bei der Lehrkraft. Diese Situation hat leider dazu geführt, dass ich in diesem Sommer aufgehört habe mit dem Unterricht an der Jeki Schule. Ich war zuletzt an drei Vormittagen im Unterricht. Ich unterrichtete Kinder aus der zweiten Klasse, dritten und vierten Klasse. Ich unterrichtete gern, nicht umsonst leite ich seit 10 Jahren eine wirklich gut laufende Musikschule. Ich bin sehr kreativ und reiße mir hin und wieder gern auch ein Bein aus, um auch den letzten Schüler noch zu motivieren, dass er wenigstens im Fünf Ton Raum auf dem Klavier vorspielen kann. Aber auf Dauer ist das kein Zustand. Immer wieder machte ich mir Gedanken darüber, welche Rolle der „Zwang“ in diesem Zusammenhang spielt.
Ich liste mal die positiven und negativen Konsequenzen auf, die durch Zwang ein Instrument zu lernen entstehen:
Positive Auswirkungen:
Entwicklung von Disziplin und Ausdauer: Kinder lernen, sich regelmäßig einer Aktivität zu widmen und Durchhaltevermögen zu entwickeln.
Kognitive Vorteile: Musikalisches Training fördert die Gehirnentwicklung, verbessert das Gedächtnis und stärkt die mathematischen Fähigkeiten.
Kulturelle Bereicherung: Kinder bekommen Zugang zu einer wichtigen kulturellen Ausdrucksform und lernen, Musik zu schätzen.
Verbesserte schulische Leistung: Studien haben gezeigt, dass musikalisches Training die schulischen Leistungen in anderen Bereichen verbessern kann.
Negative Auswirkungen:
Verlust der Freude an der Musik: Wenn Kinder gezwungen werden, kann das zu einer Abneigung gegenüber Musik führen.
Stress und Druck: Zwang kann zu Stress, Angst und geringem Selbstwertgefühl führen, besonders wenn die Kinder nicht das Gefühl haben, die Erwartungen erfüllen zu können.
Gestörtes Verhältnis zu den Eltern / zur Lehrkraft: Kinder könnten ein angespanntes Verhältnis zu ihren Eltern entwickeln, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre eigenen Wünsche und Interessen nicht respektiert werden.
Geringe Motivation: Intrinsische Motivation ist wichtiger als extrinsische; Kinder, die gezwungen werden, könnten weniger motiviert sein, wirklich gut in ihrem Instrument zu werden oder es langfristig weiter zu spielen.
Vorteile / Nachteile Gruppenunterricht
Vorteile:
Soziale Interaktion: Kinder lernen, in einer Gruppe zu arbeiten, was ihre sozialen Fähigkeiten stärkt und Teamarbeit fördert.
Motivation und Wettbewerb: Das Lernen in einer Gruppe kann durch gesunden Wettbewerb und gegenseitige Motivation die Lernbereitschaft und das Engagement steigern.
Kosteneffizienz: Gruppenunterricht ist in der Regel günstiger als Einzelunterricht, was für viele Familien finanziell attraktiver ist.
Vielfältige Lernmethoden: Lehrer können verschiedene Unterrichtsmethoden und Aktivitäten nutzen, um den Unterricht interessanter und abwechslungsreicher zu gestalten.
Gemeinschaftsgefühl: Schüler entwickeln ein Gefühl der Zugehörigkeit und können Freundschaften mit Gleichgesinnten schließen, was das Lernen angenehmer macht.
Nachteile:
Weniger individuelle Aufmerksamkeit: Der Lehrer kann nicht auf die individuellen Bedürfnisse und das Lerntempo jedes Schülers eingehen, was den Fortschritt einiger Schüler verlangsamen könnte.
Unterschiedliche Fortschrittsraten: In einer Gruppe haben Schüler oft unterschiedliche Lernfortschritte, was zu Frustration bei schnelleren oder langsameren Lernern führen kann.
Ablenkungspotenzial: Die Gruppenumgebung kann ablenkend sein, besonders für jüngere Kinder oder solche, die leicht abgelenkt werden.
Begrenzte Instrumentennutzung: Bei begrenzter Anzahl von Instrumenten müssen sich Schüler möglicherweise abwechseln, was die Übungszeit verkürzt.
Standardisierte Lehrmethoden: Der Unterricht könnte standardisiert sein und weniger Raum für individuelle Kreativität und Ausdruck bieten.
Mein Fazit: Gruppenunterricht im Klavierlernen kann eine lohnende Erfahrung sein, besonders für Kinder, die gerne in sozialen Umgebungen lernen und von der Interaktion mit Gleichaltrigen profitieren. Eltern und Lehrer sollten jedoch die individuellen Bedürfnisse und Lernstile der Kinder berücksichtigen, um sicherzustellen, dass sie das Beste aus ihrer musikalischen Ausbildung herausholen. Eine Mischung aus Gruppen- und Einzelunterricht kann oft die besten Ergebnisse erzielen. Und wenn es die Erfahrung ist, kein Interesse zu haben, ein Instrument zu lernen, dann muss das unbedingt berücksichtigt werden. Woche für Woche haben diese Kinder Ihre Mappe nicht dabei, und/oder üben nicht zu Hause. Woche für Woche verlieren diese Kinder immer mehr den Anschluss, und kommen nicht mit. Und dann kommen die Jeki Vorspielkonzerte und Schüler A kann einfach nicht auf dem Klavier spielen, weil er einfach nicht weiss, was er machen soll, weil es ihn einfach nicht interessiert. Ich persönlich finde es überhaupt nicht schlimm, das Schüler A kein Interesse zeigt, ich finde es viel schlimmer, die Lehrkraft und den Schüler mit dieser Situation zu belasten. Am Ende hat die Lehrperson 2 Jahre versucht den Schüler mit in den Unterricht zu integrieren und es hat nicht funktioniert. In einer Musikschule wäre dieser Schüler wohl nie aufgenommen worden. Was genau muss von einer Lehrkraft abverlangt werden, damit auch dieser Schüler Lust hat ein Instrument zu lernen? Es ist auf jeden Fall falsch, Schüler ganze zwei Schuljahre zu verpflichten, wenn sich herausstellt, dass es doch nichts ist für den ein oder anderen.
Ich unterrichtete in 14 verschiedenen Klassen. In fast jeder Klasse gab es mindestens ein, oder auch zwei Kinder, auf die die oben genannte Situation passte. Ich weiss nicht hundertprozentig, ob dies am Standort der Schule lag, kann mir das aber gut vorstellen (KESS 2 Schule mit herausfordernden sozio-ökonomischen Verhältnissen).
Ich bin mir sicher, dass diese Situationen vielen Musiklehrkräften nicht unbekannt sind. Was aber könnte man tun, um dem entgegenzuwirken? Bisher habe ich nur erfahren, dass diese SchülerInnen trotzdem integriert werden sollen / müssen. Mit allen Massnahmen die möglich sind. Eine andere Lösung gab / gibt es vorerst nicht. Das ist auch oft ein Thema bei Fortbildungen. Ich glaube dass ist der falsche Weg.
An einem Unterrichtstag begleitete meine 8 jährige Tochter den Unterricht in Klasse 3 und 4. Sie konnte bei allen Stücken auf dem Klavier mitspielen, und fand es auch ganz spannend zu erleben, wie in der Gruppe Klavierunterricht stattfinden kann (bisher kannte sie nur den Einzelunterricht). Die 4 Unterrichtstunden waren geprägt von Vorbereitungen, Gesprächen, organisatorischen Planungen, aber weniger mit „Musik machen“. An der Tagesordnung waren: Mappe vergessen , Notenblätter fehlen, vergessen zu üben, ständige störende Gespräche, und “ Frau Westphal, wo liegt noch mal das gis?“ (Wir hatten das bereits seit mindestens 2 Monaten).
Am Ende fragte dann meine Tochter: Wie kannst Du denn so Klavier unterrichten? Meine Antwort: „Eigentlich gar nicht so richtig, ich schraube einfach meine Ansprüche sehr weit runter, und erwarte das Wenigste.“ Im Übrigen: der überarbeitete Jeki Lehrplan von vor ca 2 Jahren entspricht kaum der Unterrichtsrealität. Zumindest nicht an der Schule an der ich unterrichtete.
Jetzt bleibt natürlich noch die Erklärung, dass ich vielleicht nicht gut genug bin in meiner Arbeit. Das würde dann bedeuten, dass ich eventuell versagt habe?
Ich schließe für mich jedenfalls in Zukunft aus, Gruppen in dieser Form zu unterrichten.
Das Projekt hat sicher viele Vorteile und eröffnet vielen Kindern Wege, ein Instrument zu erlernen. Aber es gibt eben auch Nachteile, die ich für wirklich wichtig erachte. Ich würde mich freuen, wenn es da in der Zukunft Nachbesserungen gibt, die ALLE Bedürfnisse der Kinder berücksichtigt.
Im Übrigen: welche Musikschullehrkraft unterrichtet eigentlich inklusiv ein Instrument? In der meiner pädagogischen Ausbildung vor 20 Jahren war dies nie ein Thema…. Aber vielleicht ist das heute schon ganz anders…
Grüsse aus Hamburg
Melanie
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